
Bildquelle: PopTika / shutterstock.com
Bildgröße: 2400x1376 Pixel, 0.25 MB
Die Beweglichkeit gehört neben Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Koordination zu den fünf motorischen Grundbeanspruchungsformen. Sie alle tragen ihren Teil zur sportlichen Leistungsfähigkeit bei. Aus diesem Grund sollte Beweglichkeitstraining unbedingter Bestandteil des Trainings sein. Doch es muss nicht immer nur Dehnen sein!
Es gibt bestimmte Muskelgruppen, die generell einen erhöhten Tonus aufweisen und deshalb unbedingt gedehnt werden sollten. Dazu zählen unter anderem der Brust- und Nackenmuskel, der Schultergürtel und der Hüftbeuger. Klassisches Dehnen lässt sich in statisches und dynamisches sowie aktives und passives Dehnen untergliedern.
Dehnen das Nonplusultra?
Statisches Dehnen zeichnet sich dadurch aus, dass eine gewisse Position am sogenannten „point of discomfort“ etwa 20-90 Sekunden lang gehalten wird. Es verbessert die Beweglichkeit nachweislich direkt nach dem Stretching und wirkt sich bei regelmäßigem Training auch langfristig positiv aus, sodass größere Bewegungsamplituden der Gelenke möglich sind. Mobilität und Dehnfähigkeit werden nicht nur für bestimmte Sportarten wie Tanzen oder Turnen benötigt, sondern auch im Krafttraining, beispielsweise beim Kniebeugen, Bankdrücken oder Klimmziehen. Außerdem läuft der Alltag geschmeidiger, wenn man sich zum Beispiel am Rücken kratzen oder etwas vom Fußboden aufheben will. Hinzu kommt, dass sich durch regelmäßiges Stretching das subjektive Wohlbefinden positiv beeinflussen, die Entspannungsfähigkeit fördern, die lokale Muskeldurchblutung steigern und die Verletzungsgefahr vermindern lässt. Dennoch ist Dehnung nicht immer das Nonplusultra! So kann der hartnäckige Mythos, dass Dehnen Muskelkater vorbeugen kann, nicht bestätigt werden – egal ob das Stretching vor oder nach der Belastung durchgeführt wird. Ausgiebige Dehneinheiten unmittelbar nach der sportlichen Belastung können Muskelkater durch Mikroverletzungen in der Muskulatur sogar provozieren. Außerdem sollte beachtet werden, dass längeres statisches Dehnen die Maximal-, Schnell- und Sprungkraft temporär negativ beeinflusst. Statische Dehneinheiten sollten daher nie vor Kraft- oder Schnelligkeitstraining durchgeführt werden, sondern als separates Training.
Periphere Nerven als Faktor der Beweglichkeit
In einer weit verbreiteten Annahme lassen sich Muskeln durch regelmäßiges Stretching in die Länge ziehen. Dass dem nicht so ist, lässt sich in einem einfachen Experiment, dem Straight-Leg-Raising-Test (SLR-Test) nachweisen. Dazu legt man sich auf den Rücken und streckt ein Bein am Boden aus. Das andere Bein wird am Oberschenkel oder der Wade umfasst und gestreckt Richtung Decke bzw. zur Nase gezogen. Der dadurch entstehende Dehnschmerz wird genau in der Kniekehle empfunden, wobei sich ein etwa kleinfingerdicker Strang oberflächlich in der Kniekehle ertasten lässt. Was da so „zieht“, ist keine Muskulatur, da es an dieser Körperstelle keinen derart dicken Muskel gibt, sondern ein sogenannter peripherer Nerv.
Unter peripheren Nerven werden im Allgemeinen diejenigen Nerven verstanden, die sich außerhalb des zentralen Nervensystems, welches das Rückenmark und Gehirn umfasst, befinden und deinen gesamten Körper durchziehen. Nerven können in ihrer Struktur nicht gedehnt oder gar in die Länge gezogen werden, sondern sie gleiten während unserer Bewegungen. Diese Gleitfähigkeit stellt einen entscheidenden Faktor in Bezug auf eine reibungslose Beweglichkeit dar. „Reibungslos“ kann in diesem Falle wörtlich verstanden werden, denn Nervenfasern liegen zwischen verschiedenen anderen Strukturen wie Faszien, Muskeln, Knochen, Gelenken und Blutgefäßen, die die Gleitfähigkeit peripherer Nerven als Schnittstellen hemmen oder gar festhalten können. Beugst du dich aus dem Stand mit dem Oberkörper nach vorn und bringst die Hände zum Boden, muss der Nervus ischiadicus ganze fünf bis zehn Zentimeter bei dieser Anteflexion gleiten. Der Ischiasnerv ist nicht nur der wahrscheinlich bekannteste Nerv, sondern auch der stärkste. Seinen Ursprung hat er in Höhe des Kreuzbeins und zieht sich durch das Hüftgelenk, über die Knie bis ins Sprunggelenk. Wenn der periphere Nerv während der Bewegung nun nicht entsprechend mitgleiten kann, kommt es durch die wirkenden Zugkräfte zu Beschwerden und dem empfundenen nervalen Schmerz.
Neurodynamische Techniken
Durch Stretching lässt sich keine echte Verlängerung der Muskulatur erzielen, sondern lediglich eine Herabsetzung des Muskeltonus. In Bezug auf das periphere Nervensystem gibt es weitaus effektivere Methoden zur kurz- und langfristigen Verbesserung der Beweglichkeit, nämlich die sogenannten neurodynamischen Techniken. Die Anpassungsfähigkeit des Nervengewebes spielt vom Kindes- bis ins hohe Alter eine wichtige Rolle in Bezug auf die Gesundheit bzw. Funktionalität des menschlichen Körpers. Diese dynamische Adaptationsfähigkeit wird als Neurodynamik bezeichnet. Neurodynamische Techniken zielen nicht auf die Herabsetzung des Muskeltonus ab, sondern auf die Gleitfähigkeit der peripheren Nerven, wodurch sich die allgemeine Beweglichkeit positiv beeinflussen lässt. Im Rehabereich gehören neurodynamische Techniken mittlerweile zum festen Therapiebestandteil, wenn Nerven beispielsweise durch Entzündungen, Verletzungen oder Bandscheibenvorfälle eingeklemmt oder gehemmt werden. Durch eine gezielte Neuromobilisation ist es dann möglich, dass periphere Nerven wieder an Gleitfähigkeit gewinnen. Neurodynamische Techniken können jedoch auch im Freizeit-, Profi- oder Schulsport als effektive Methode des Beweglichkeitstrainings eingesetzt werden. Beim neurodynamischen Beweglichkeitstraining wird zwischen der Gleittechnik und der Spannungstechnik unterschieden. Bei der ersteren wird an einer Stelle entlastet, während eine andere belastet wird. Bei der Spannungstechnik werden zwei Stellen gleichzeitig belastet und danach gleichzeitig entlastet.
Fazit
Durch neurodynamische Techniken lässt sich deine Beweglichkeit unmittelbar verbessern, ohne die Leistungsfähigkeit negativ zu beeinflussen. Gerade im Sport ist eine hohe Anpassungsfähigkeit der peripheren Nerven wie zum Beispiel beim Hürdenlauf oder schnellen Würfen von großer Bedeutung und stellt einen determinierenden Leistungsfaktor dar. Diese aktive Variante des Beweglichkeitstrainings bietet eine tolle Abwechslung zum klassischen Stretching, um ein bisschen Schwung und Variation in den Trainingsalltag zu bringen. Du kannst neurodynamische Techniken als sinnvolle und effektive Ergänzung zum statischen Dehnen betrachten.
Quelle: shape UP